Dienstag, 1. September 2009

Kiliansmännle, 22.06.1994

KaffeesatzManche Parteipolitiker hegen ein seltsames Mißtrauen gegenüber uns schlichten Wählern. Denn der Wähler - im Allgemeinen und Besonderen - ist unberechenbar. Wenn er da so alleine in der Wahlkabine steht und abstimmt, da fragen sich die Parteifunktionäre mißtrauisch: stimmt er auch richtig ab? Und da die ganz Schlauen unter den Funktionären gerne wissen wollen, warum wir Wähler so oder so - oder ganz anders gewählt haben, beschäftigen sie kluge Wahlforscher. Die sollen herausfinden, wer wie und warum diese oder jene Partei oder vielleicht garnicht gewählt hat. Auftragsgemäß stochern diese Wissenschaftler mit ihren Meßstangen im Nebel von Vermutungen und Erhebungen herum. Und finden heraus, daß die Partei, die sie bezahlt, immer gute Chancen beim Wähler hat. Aber die Wahrheit ist das Wahlergebnis - die Entscheidung des Souverains, des Wahlvolkes. Da haben am Sonntagabend wieder einige Forscher dumm aus der Wäsche geschaut, als der Wähler so ganz anders abstimmte als sie vorausgesagt hatten.

Europawahl Mit rund 60 Prozent Wahlbeteiligung haben wir in Deutschland am Superwahlsonntag über die Zusammensetzung des deutschen Anteils im Europa-Parlament entschieden. In Heilbronn waren es sogar 62,7 Prozent und im Landkreis 68,9 Prozent. Herumzumäkeln an dieser Wahlbeteiligung haben nur jene, die sich ansonsten auch schwer tun mit unserer Demokratie nach westlichem Standard. Bei 90 oder mehr Prozent Wahlbeteiligung muß man sich fragen, ob nicht Zwang im Spiel ist. Diktaturen warten regelmäßig mit 99 Komma noch etwas auf. Die verbrecherische DDR und der mörderische Nazistaat sind beredte Beispiele aus deutscher Vergangenheit dafür. In guten und funktionierenden Demokratien wird ohne Wahlzwang gewählt. Die Europawahl ist ein gutes Zeugnis dafür.

Wahlsieger
Eine herbe Schlappe haben die Sozialdemokraten nicht nur bei der Europawahl in Deutschland, sondern auch bei den Kommunalwahlen in Baden Württemberg hinnehmen müssen. Sieger in deutschen Landen und im Ländle sind die Christdemokraten. Bei der Europa- und der Kommunalwahl. Die Stadt Heilbronn bildet da keine Ausnahme. Erstaunlich aber, daß sich die Republikaner in der Käthchenstadt so verdammt gut halten konnten. Vor allem in den sozialen Brennpunkten der Stadt haben die Reps zumeist über 12 Prozent der Stimmen einheimsen können, im von Drogen und Kriminalität besonders belasteten Industriegebiet Heilbronns sogar um die 26 Prozent. Die Sozialschwachen protestieren heftig. Und nicht nur die. In den Wahllokalen der eher Wohlbetuchten konnten die Grünen oft über 15 Prozent auf sich verbuchen. So hat jeder seine Sorgen. Vom Turm betrachtet meine ich: brennende Probleme sind halt nicht radikal aus einem Punkte zu kurieren. Das werden auch Protest- oder Überzeugungswähler über kurz oder lang erkennen müssen. Trotzdem stelle ich ganz nüchtern fest: Heilbronn bleibt mit 10 Prozent in Baden Württemberg eine Rep-Hochburg.

Ist was dran?Passend zum Wahlkampf für die abgelaufenen Kommunalwahlen veröffentlichte eine Sonntagszeitung aus Stuttgart einen Artikel der hart mit der ,,Sportgemeinschaft der Bürgermeister des Landkreises Heilbronn" ins Gericht geht. Da erhob ein Stadtrat der Grünen den Vorwurf der Vetternwirtschaft. Nicht nur Bürgermeister spielen nämlich Fußball in der Elf der Sportgemeinschaft, sondern auch befreundete Unternehmer, Handwerker oder Architekten. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt. Die Schultes dementieren die Vorwürfe natürlich. Eines mußten sie freilich zugeben, nämlich, daß ihre Organisation nach einer Anzeige des besagten Grünen-Stadtrates plötzlich zur Körperschaftssteuer herangezogen wurde. Wer mag also Otto-Normal-Bürger verdenken, wenn er mal nicht mit der Steuererklärung zurecht kommt, wenn es schon die mit allen Finanztricks gewaschenen Bürgermeister nicht so richtig können.

D-Day in HeilbronnFünfzig Jahres ist‘s jetzt her. Im Morgengrauen des 6. Juni 1944 landeten 135 000 alliierte Soldaten und 20 000 Fahrzeuge an fünf Küstenabschnitten der Normandie und stürmten den deutschen „Atlantikwall“. Die Befreiung der europäischen Völker von den Nazis und vom Faschismus nahm konkrete Formen an. Und der Terrorstaat in Deutschland? Der wollte weiterkämpfen bis alles in Scherben fällt - wie Goebbels es befahl: „Nun Volk steh auf, und Sturm brich los“. In den letzten zehn Kriegsmonaten brach die selbstverschuldete Hölle über Deutschland herein. Und in dieser Götterdämmerung versank das Deutsche Reich auf Nimmerwiedersehn - zusammen mit dem alten Heilbronn. Gottseidank befreiten uns im Unterland die Amerikaner von den Nazis. Warschau, Prag, Budapest und Ostberlin bekamen ihre Freiheit erst viereinhalb Jahrzehnte nach dem westlichen Vorstoß in der Normandie. Schlicht gesagt: viele alliierte Soldaten starben vor fünfzig Jahren für unsere Freiheit. Ihnen gebührt auch heute noch unser Dank.

Viel WirbelDa langt einer aber hin: Vom Kollaps unserer Autogesellschaft schreibt Hermann G. Abmayr in seinem Buch ,,Der große Crash". Als Beispiel hat der Stuttgarter Journalist das Unterland, besser die Region Heilbronn/Neckarsulm ausgewählt. Klar, hier verdienen tausende von Menschen ihr Brot durch Jobs in der Fahrzeugbauindustrie oder der Zuliefererbranche. Abmayr spricht da vom ,,Zusammenbruch". Ein düsteres Bild. Nun muß man wissen, daß der Journalist Abmayr als überzeugter Kritiker des Fortschritts gilt. Zudem ist er bestimmt kein konservativer, sondern eher ein linker Meinungsmacher. Denn nichts anderes macht er in seinem Buch: Meinung gegen das Auto. Bedenklich nur, daß sich die gewerkschaftseigene Hans-Böckler-Stiftung hergegeben hat, dieses Werk zu unterstützen. Bei aller Liberalität müßte doch auch die Gewerkschaft ein Interesse daran haben, daß der Automobilbranche nicht ständig am Blech geflickt wird - oder?

Goldene ZeitenRichtig wehmütig kann es einem da ums Herz werden. 8,8 Prozent Arbeitslose meldete das Heilbronner Arbeitsamt im Januar 1994. Damals Tendenz steigend. Noch Anfang der 70er Jahre herrschte im Unterland nahezu Vollbeschäftigung. Die Arbeitslosenquote lag gerade mal bei 0,2 Prozent! Vor allem die Metall verarbeitende Industrie und Elektrotechnik waren kräftig gewachsen.

Theater - Spitze!Das Stadttheater in Heilbronn kann auf die noch laufende Spielzeit mit Stolz schon jetzt zurückblicken. Mehr als zweihunderttausend Besucher sind gezählt. Und der Spielplan für die kommende Spielzeit 1994/95 verspricht neue Rekorde. Mit Shakespeares „Der Sturm“ gibt‘s am 13. September den Premierenauftakt. Und Ende November kommt dann ein Theaterstück über das heutige Heilbronn zur Uraufführung. „Der Weg zum Bahnhof“ heißt es und wurde von der Berliner Autorin Irina Liebmann als Beitrag des Theaters zum 50. Jahrestag der Zerstörung Heilbronns am 4. Dezember 1944 konzipiert. Mit der Regisseurin Karin Drechsel zusammen überarbeitet sie zur Zeit ihr Drama, das „mit exemplarischen Episoden aus dem Leben in der deutschen Provinz“ gewürzt wird.

Pension SchöllerWollen Sie mal wieder herzlich und unbekümmert lachen? Gehen Sie doch einfach mal wieder ins Theater. Nicht ins Stadttheater, sondern nach Neuenstadt am Kocher. Dort wird unter freiem Himmel freitags, samstags und sonntags ab 20.30 Uhr der Schwank „Pension Schöller“ gegeben. Unter der Regie von Hajo Baumgärtner, einem Filmemacher aus Leingarten, haben sich Menschen wie Du und ich in langer Probenzeit nach der täglichen Arbeit ein munteres Spektakel erarbeitet. Das derbe und fröhliche Laientheater der Neuenstädter ist ein Geheimtip für alle, die sich ein unverkrampftes Sommervergnügen bereiten wollen. Schwäbisch gsagt: Glacht hab i, daß i kaum noch schnaufe könnt hab.

Heimat, deine SenderIn Heilbronn und der Region Franken senden derzeit zwei Hörfunksender ihr Heimatprogramm für die Schwaben und Franken zwischen Neckar und Main das Frankenradio des Süddeutschen Rundfunks und Radio Regional Heilbronn, der Privatsender aus dem Hause Heilbronner Stimme. Und das soll auch in Zukunft so bleiben, wenn‘s nach dem Willen der Betreiber und der Landesanstalt für Kommunikation in Stuttgart geht. Öffentlichrechtlicher und privater Rundfunk in trauter Konkurrenz nebeneinander: aus der Region - für die Region. Das Frankenradio hört man in Heilbronn auf der UKW-Frequenz 99,5 und Radio Regional auf 103,2. Beide wollen für alle Bürger da sein. Aber bei Programmstruktur und Musik wird‘s deutlich: das Frankenradio des SDR, oft der Scholle sehr nahe, sendet für ältere, Radio Regional mehr für ein jüngeres Mega-Dance-Publikum. Nach dem altbekannten schwäbischen Motto: Allen Leuten recht getan ist eine Kunst, die niemand kann.

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