Mittwoch, 2. September 2009

Kiliansmännle, 19.10.1994

Wackeln„Der Wechsel ist zum Wählen nah“, war die große Überschrift in einer Partei-Sonntagszeitung, die in den letzten Wochen regelmäßig in meinem Briefkasten lag. Nah war er, aber nicht nah genug. Die letzte Umfrage des seriösen Instituts für Demoskopie Allensbach wenige Tage vor der Wahl deutete schon sehr genau auf das Ergebnis hin: CDU/CSU 41,0, SPD 35,5, FDP 7,5, Grüne 8,0 und PDS 4,0 Prozent. Und war kam tatsächlich bei der zweiten gesamtdeutschen Bundestagswahl heraus? Vorläufiges amtliches Endergebnis: CDU/CSU 41,5, SPD 36,4, FDP 6,9, Grüne 7,3 und PDS 4,4 Prozent. Die Koalition in Bonn hat also mit ihren 341 Mandaten einen Vorsprung von zehn Sitzen vor der linken Opposition. Jetzt muß die FDP zeigen, ob gilt, was sie vor der Wahl immer laut hinausposaunt hat: ohne Hampeln und Wackeln zur christlich-liberalen Koalition in Bonn stehen. Wackelt sie jetzt, begeht sie auch bundespolitisch Selbstmord.

LändleAlle 37 Wahlkreise in Baden Württemberg hat die CDU am Sonntag erobern können. Das ist ein klarer schwarzer Sieg. Landesweit bei den Zweitstimmen ist der CDU-Triumph allerdings nicht so eindeutig: CDU 43,3, SPD 30,7, FDP 9,9, Grüne 9,6 und Republikaner 3,1 Prozent. Allerdings ist das Ergebnis eine gute Ausgangslage für die nächsten Landtagswahlen im Ländle. Es könnte also für eine christlich-liberale Koalition langen und der Rep-Spuk hätte in Stuttgart ein Ende. Aber gewählt wird erst in zwei Jahren. Und da fließt noch viel Wasser den Neckar hinunter.

Ein MdBZwei Bundestagsabgeordnete hatte der Wahlkreis Heilbronn vor dem 16. Oktober. Da der Sieger Egon Susset heißt und mit 45,1 Prozent der Erststimmen gewählt wurde, gibt‘s für das Unterland wieder nur einen MdB. Der CDU-Mann hat seinen Kontrahenten Peter Alltschekow zum zweiten Mal in die Schranken verwiesen. Mit 36,9 Prozent der Erststimmen muß der SPD-Mann langsam daran denken, in vier Jahren Platz für einen attraktiven Nachfolger zu machen. Und den Sozis muß auch zu denken geben, daß in ihren Hochburgen der Heilbronner Wahlbezirke die Republikaner immer noch sehr stark sind. Bis zu 16 Prozent der Zweitstimmen und 18,5 Prozent der Erststimmen konnte Alfred Dagenbach für sich verbuchen. Bedenklich ist auch, daß die Reps im Stadtkreis immer noch bei 5 Prozent liegen, während sie im Landesdurchschnitt lediglich 3,1 Prozent auf sich verbuchen konnten. Eindeutig und klug haben im Heilbronner Wahlkreis die FDP-Wähler entschieden: mehrheitlich die Erststimme für Susset, die Zweitstimme für die Liberalen. Die Grünen-Wähler dagegen verschenkten ihre Erststimme und haben damit indirekt den CDU-Mann gewählt.

Radikale
In diesem Bundestagswahlkampf wurde ein Zitat Kurt Schumachers wie eine Keule geschwungen: der westdeutsche Nachkriegs-SPD-Vorsitzende hatte einst vor den Kommunisten als rotlackierten Nazis gewarnt. Die PDS, die Nachfolgepartei der verbrecherischen SED, wehrte sich heftig gegen die Attacke aus CDU-Kreisen, die gerade dieses Schumacher-Wort auf die „roten Socken“ angewandt hatte. Aber Kurt Schumacher, einst hochgelobt und viel gescholten, sprach auch Worte, die eigentlich gute SPD-Geschichte sein sollten: „Wir deutschen Sozialdemokraten sind nicht britisch, nicht russisch, nicht amerikanisch und nicht französisch. Wir sind die Vertreter des deutschen arbeitenden Volkes und damit der deutschen Nation.“ - Eine Verpflichtung. Und auch in den Nachkriegsjahren analysierte er scharfsinnig: „Im Sinne der deutschen Politik ist die kommunistische Partei überflüssig. Ihr Lehrgebäude ist zertrümmert, ihre Linie durch die Geschichte widerlegt.“ So mancher in der Sozialdemokratie hätte in den letzten zwei Jahrzehnten bei ihm nachlesen können, wie man Kommunisten einzuschätzen hat. Damit wären viele Mißverständnisse gar nicht erst entstanden. Und vielleicht hätte es mit diesem Geist auch zum ersehnten Wechsel in Bonn gereicht.

UrteilVor dem Landgericht in Heilbronn wurde in der vergangenen Woche ein Totschlagsprozeß verhandelt. Ein nicht unbekannter Heilbronner Bürger, ein 54 jähriger Küfermeister war angeklagt, seine Frau mit einer Sektflasche und einer gußeisernen Bratpfanne brutal erschlagen zu haben. Nur zwei Verhandlungstage - und das milde Urteil war gesprochen: dreieinhalb Jahre Gefängnis. Unter honorigen Heilbronnern hatte der Prozeß viel Aufsehen erregt. Man sprach sogar davon, daß viel gesellschaftlicher Dreck hätte aufgewirbelt werden können, wenn genauso detailliert und haarscharf verhandelt worden wäre, wie zum Beispiel im Heilbronner Duschorgien-Prozeß, bei dem es ja nur um die Existenz weniger bekannter Angeklagter ging - und die Ehre der Polizei. So blieb halt beim „bürgerlichen Trauerspiel“ viel unter dem Teppich, während beim „Polizisten-Trauerspiel“ der ganze Dreck juristisch weggeputzt wurde.

Interessanter KreisDas Treffen der Herren war streng geheim: Nur soviel sei verraten. Stattgefunden soll es in einem der vielen Unterländer Besen haben. Es waren fünf Männer im Alter zwischen 45 und 62 Jahren. Allesamt Professoren, die sich mit der Wirtschaftsentwicklung von Städten beschäftigen. Diesmal ging es um Heilbronn und seine Umgebung. In launiger Runde arbeiteten sie ein Stärken- und Schwächenprofil der Käthchenstadt heraus. Stärken: gute Lage zwischen den Ballungsräumen Stuttgart, Mannheim und Frankfurt; gute Autobahnanbindung; Fachhochschule; großes Angebot an Fachkräften; viele Spediteure; hoher Wohn- und Freizeitwert. Und nun die Schwächen: Überlastete Autobahnen; Bekanntheitsgrad der Stadt ist nur gering; Großunternehmen wie Audi werden nicht mit dem Standort in Verbindung gebracht; Flächenengpässe.

SchuldenViele schöne Träume haben die Parteien - auch in der Kommunalpolitik. Aber im Gemeinderat Heilbronns wurde letzte Woche klar: die Träume und Pläne zerplatzen wie Seifenblasen, wenn sie an der finanziellen Realität gemessen werden. Denn im nächsten Jahr wird - so die Stadtverwaltung - erstmals im Stadtsäckel ein Loch von rund 25 Millionen Mark klaffen. Und wie deckt man Schulden ab? Klar, wie gewohnt: man schröpft den Bürger. Gewerbesteuer rauf um 8,6 Prozent. Um 11,5 bzw. 17,3 Prozent sollen die Grundsteuern A und B erhöht werden. Gebühren und Tarife, ohnehin schon stark belastend für uns Steuerzahler - nochmals rauf damit: vor allem bei Müll, Abwasser (+12%), Kindergärten (+27%), Kindertagesstätten (+10%). Einsparen will man allerdings auch - beim städtischen Personal durch eine sechsmonatige Stellen-Wiederbesetzungssperre. Ich habe den Eindruck: es wird nicht gespart, sondern weniger ausgegeben, obwohl man Schulden hat. Ehrlich wäre: wenn ein Loch von 25 Millionen klafft, dann darf man dieses Geld eben nicht ausgeben. Drastisch beim Vorhandenen sparen heißt die Devise, ohne die Bürger mit neuen Abgaben zu belasten.

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