Mittwoch, 2. September 2009

Kiliansmännle, 07.09.1994

Neuer ChefEs war das Medienereignis für die Heilbronner Stimme: Dr. Wolfgang Bok ist seit dem 1. September neuer Chefredakteur der HSt. Beim Empfang im ,,Restaurant am Stadtgarten" konnte ich allerlei gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Prominenz der Region sehen. Bok war mehr als ,,small-talker" denn als Journalist gefordert. Der Region will er ,,mehr Gehör verschaffen" verkündete der neue HSt-Chef. Gut so. Eventuell wird die Zeitung auch ein Quentchen konservativer werden. Denn Bok, der ja von den Stuttgarter Nachrichten kommt, hat nicht den Ruf ein links-liberaler Schreiber zu sein. Vielmehr ist er den Lesern in Stuttgart als entschiedener Befürworter konservativer Positionen bekannt.

WahlkampfVon fairem Wahlkampf wird wieder geredet, der politischen Auseinandersetzung ohne laute polemische Töne. Völliger Unsinn. Wahlkampf ist Wahlkampf - auch in Heilbronn. Und da stehen sich Platzhirsch Egon Susset und Bundestags-Nachrücker Peter Alltschekow gegenüber. Und die werden bestimmt nicht auf Gepolter verzichten. Das hat Alltschekow schon mit seiner Plakataktion bewiesen. Wahlkämpfe sind nun eben mal keine wissenschaftlichen Oberseminare, wo Argumente fein uns leise ausgetauscht werden. Wahlkämpfe sind laut. Denn folgerichtig dürften andernfalls auch nur jene wählen, die mindestens ein Abiturszeugnis vorweisen könne. Aber gottseidank haben wir in Deutschland die Zeiten hinter uns, als der Staat oder eine andere Staatspartei den Bürgern vorschrieb, wie und wer zu wählen ist. In der Demokratie entscheiden immer noch die Mehrheiten und nicht wie bei den Nazis und in der DDR die selbsternannten ,,allwissenden Minderheiten" einer allmächtigen Partei. Also ich freue mich auf einen Bundestagswahlkampf, in dem Tacheles geredet und um jede Wählerstimme gekämpft wird. Daß dabei manchmal die Fetzen fliegen werden, sei es drum.

Selber trinkenDa war der Besucher Skandinaviens aber platt: Wein wollte er trinken, mal sehen, ob es auch ein Württemberger Tröpfchen in der staatlichen Vinothek von Trondheim gibt. Denn in Norwegen ist Alkoholverkauf an Lizenzen des Staates gebunden. Nicht jeder Supermarkt führt hier Wein, Bier oder Schnaps. Doch die Suche nach dem Württemberger blieb vergebens. Alles hatten die Nordländer im Regal: Weine aus Frankreich, rote Tropfen aus Chile, Südafrika und Australien, ja selbst einen Badener. Was fehlte, war der Württemberger. Ohne eine Flasche verließ der potentielle Käufer die Vinothek, schmunzelte vor sich hin und dachte nur: Wir Württemberger wissen, was gut ist und trinken unser Sach` eben selber.

WeindorfApropos trinken. Wo sich wieder jede Menge Württemberger Weine finden lassen, ist ja nun beim Heilbronner Weindorf. Von meinem Turm aus läßt sich das gesellige Treiben jeden Tag und Abend beobachten. Klar, daß ich auch von der hohen Warte herunter steigen und mich ins Getümmel stürzen werde. Das Stuttgarter Weindorf ist ja nun vorbei. Es wirbt immer damit, eines der schönsten, größten aber auch ruhigsten Feste im Ländle zu sein. Die Polizei, die das Leben in der Stuttgarter Innenstadt wachsam beäugte, mußte kaum gegen randalierende Zecher einschreiten. Hoffen wir, daß es in Heilbronn auch so ist. Bei dem schielen die Veranstalter ja immer mißtrauisch und mit ein bißchen Neid in die ach so erfolgreiche Landeshauptstadt. Aber da beißt die Maus keinen Faden ab: Stuttgart und seine Region sind halt für viele attraktiver als das im Windschatten der Entwicklung gelegene Heilbronn und Unterland.

Wegschauen?Stadtplaner gucken da nur ungern hin. Das ist in Heilbronn so wie in anderen großen Städten. Es gibt sie überall, die Gegenden, die als asozial verschrieen sind. Kennzeichen solcher Gebiete: Wohnblocks, sozial schwache Mieter, hoher Ausländeranteil, Alkoholismus, Drogenkriminalität, bei Wahlen große Erfolge für radikale Parteien, zerrüttete Familienverhältnisse. Man könnte diese Aufzählung negativer Beschreibungen fortsetzen. Wer sich beispielsweise in Heilbronn ein Bild davon machen will, braucht bloß einen Blick ins sogenannte ,,Hawaii" zu werfen. Zugegeben, Heilbronn und seine als asozial gekennzeichneten Gebiete sind im Vergleich zu anderen Großstädten Deutschlands noch annehmbar. Aber der Wurm ist drin. Wegschauen sollten Städteplaner deshalb nicht, denn die ,,Reparaturen" dieser Gegenden sind teuer. Die professionellen Helfer von Kirche oder Staat wissen von ihrer mühevollen Arbeit ein Liedchen zu singen.

Steigende PreiseDie Landeshauptstadt hat Sogcharakter. Man arbeitet gerne dort. Viele, die sich das Wohnen in Stuttgart nicht leisten können - und das sind immer mehr - ziehen in die Schlafstädte vor den Toren Stuttgarts. Die Bürgermeister längs der Autobahn A 81 wissen davon ein Liedchen zu singen. Die Gemeinden verzeichnen sprunghafte Einwohnerzuwächse. Was ebenso ansteigt sind die Bodenpreise auf dem Land. Da werden in Kommunen wie Mundelsheim, Ilsfeld oder Untergruppenbach, wo noch vor gar nicht so viel Jahren der Quadratmeter Bauland für 300 Mark zu haben war, mittlerweile 600, ja gar 700 Mark gezahlt. Eine bedenkliche Entwicklung, denn bei vielen Gemeinden führt dies dazu, daß ohne wenn und aber Baugebiete ausgewiesen werden, egal, ob die Infrakstruktur stimmt.

ErinnerungenDie goldenen 80er Jahre sind vorüber. Da boomte Neckarsulm und seine Audi-Autoindustrie noch. Immer mehr Menschen im Unterland arbeiteten für den Fahrzeugbau - jeder direkt und noch einmal jeder dritte indirekt; 1992 schließlich erlebte die automobile Produktion unter Konzernlenker Ferdinand Piech ihren Höhepunkt. Der Alleinherrscher aus Österreich trieb den Umsatz um neun Prozent in die Höhe. Das Ergebnis war freilich fatal: Piech hinterließ seinem Nachfolger Franz-Josef Kortüm 120 000 unverkaufte Fahrzeuge. Und diesen Autoberg konnte der ehemalige Leiter einer Mercedes-Vertretung in Bonn nur teilweise abbauen. Das Ergebnis ist bekannt: Kortüm mußte seinen Hut nehmen. Und heute? Man setzt auf neue Audi-Produkte. Und nicht nur die Gemeinde Neckarsulm hofft auf steigende Audi-Umsatzzahlen.

VersprechungenMan muß Politiker immer mal wieder an ihre Versprechungen erinnern. Beispielsweise Dr. Dieter Spöri (SPD), den Wirtschaftsminister Baden-Württembergs. In einem Interview hatte er zugesagt, die längst fällige Sanierung des alten Heilbronner Industriegebietes - mit 420 Hektar auch das größte zusammenhängende Industriegebiet Württembergs - zu unterstützen. 25 Millionen Mark sollte die Sanierung laut Spöri kosten. Zehn Millionen Mark soll es vom Land geben. Ich bin gespannt, ob das Geld eintrifft im Stadtsäckel.

VerkehrsverbindungImmer wieder höre ich die Klagen der Unterländer Unternehmer: Es fehlt uns an einer guten Verkehrsanbindung. Wenn es denn schon nichts ist mit einer gescheiten Zuganbindung, dann doch bitte wenigstens die Straße. 1994 bis 1998 werden vom Bund und Land 23 Straßenbaumaßnahmen mit einem Gesamtvolumen von immerhin 345 Millionen Mark gefördert. In den 13 Jahren von 1980 bis 1992 waren es lediglich 228 Millionen Mark. Alles schön und gut, aber wo bleibt das Geld für den Ausbau der A6?

WeindorfFür Liebhaber schwäbischer Spezialitäten und heimischer Weine ist das Weindorf ein Dorado. 250 verschiedene Badener und Württemberger Tropfen werden kredenzt.
Welches Weindorf im Lande ich damit beschrieben habe? Selbstverständlich das Stuttgarter. Das Heilbronner läßt ja noch auf sich warten. Bekanntlich ist das Stuttgarter nicht nur das größte und schönste im Ländle, es ist auch immer eines der ruhigsten Feste gewesen. Das konnte ich selbst bei meinem Besuch feststellen. Und auch die Polizei, die das Dorfleben in der Stuttgarter Innenstadt wachsam beäugt, mußte bisher nicht einschreiten. Außer einem Taschendiebstahl, keine Vorkommnisse. Warten wir also unter diesen Vorzeichen auf das doch sehr turbulente Heilbronner Weindorf. Bei dem schielen die Veranstalter ja immer mißtrauisch und mit ein bißchen Neid in die so erfolgreiche Landeshauptstadt. Aber da beißt die Maus keinen Faden ab: Stuttgart und seine Region sind halt für viele attraktiver als das im Windschatten der Entwicklung gelegene Heilbronn und Unterland.

Asozial
In nahezu jeder Stadt und Gemeinde gibt es Gegenden, die als asozial verschrieen sind. Die Kennzeichen solcher Gebiete: Wohnblocks, sozial schwache Mieter, Drogenkriminalität, hoher Ausländeranteil, bei Wahlen hohe Anteile von radikalen Parteien, zerrüttete Familienverhältnisse. Man könnte diese Aufzählung negativer Beschreibungen fortsetzen. Die Polizei weiß da besser und genauer Auskunft zu geben. Aus Städten in den USA wissen wir ja, ist ein Gebiet erst einmal asozial infiziert, dann verlassen jene ganz schnell das Terrain, die nicht mit „Schreiern, Schlägern und Drogenabhängigen“ (ob nun Alkohol oder härtere Stoffe) zusammenleben wollen. Und wenn das Kind dann endgültig in den Brunnen gefallen ist, erst dann kommen die Feuerwehren: die professionellen Helfer von Kirche und Staat. Aber die können nur Wunden verbinden und selten heilen. Heilbronn und seine als asozial gekennzeichneten Gebiete sind im Vergleich mit den Großstädten Deutschlands allerdings noch annehmbare Wohnviertel. Aber der Wurm ist drin.

WahlkampfWahlkampf ist Wahlkrampf. Ich höre sie schon: unsere professionellen Besserwisser, die Wahlkämpfe am liebsten in wissenschaftliche Oberseminare verwandeln möchten, wo die Argumente fein und leise ausgetauscht werden. „Sachlich und vernünftig“. Aber folgerichtig dürften dann auch nur jene wählen, die mindestens ein Abiturzeugnis vorweisen können. Aber gottseidank haben wir in Deutschland die Zeiten hinter uns, als der Staat oder eine Staatspartei den Bürgern vorschrieb, wie und wer zu wählen ist. In der Bundesrepublik wird gewählt, wer überzeugt. Und gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt. In der Demokratie entscheiden immer noch die Mehrheiten und nicht wie bei den Nazis und in der DDR die selbsternannten „allwissenden Minderheiten“ einer Partei. Oder besser gesagt: die Polit-Terroristen. Also: freuen wir uns auf einen Bundestagswahlkampf, in dem Tacheles geredet und um unsere Stimmen gekämpft wird. Denn sie haben viel zu gewinnen und noch mehr zu verlieren, unsere lieben Parteien.

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