Donnerstag, 3. September 2009

Kiliansmännle, 21.12.1994

Heilig
Am Samstagmittag hat das Gerenne und Gehetze sein Ende. Nichts geht mehr. Die Geschäfte haben geschlossen. Alles bereitet sich auf den Heiligen Abend 1994 vor. Am Nachmittag müssen die Kinder versorgt werden - entweder mit einem ausdauernden Spaziergang, einem Kinobesuch oder anderen unterhaltsamen Ablenkungsmanövern. Bis zum Abendbrot und der anschließenden Bescherung - oder umgekehrt. Dieser Tag ist so recht ein Tag der Kleinen. Und die Erwachsenen? Die müssen das Fest richten - kochen, putzen, waschen, herrichten, sodaß alles heimelig und angemessen weihnachtlich wirkt. Und jene, die keine Kinder haben? Die können in Heilbronn ausgehen. Viele Kneipen und Gaststätten haben geöffnet, Treffs und Anlaufpunkte für Alleinstehende sind heuer in Vielzahl vorhanden. Na dann - ein fröhliches Weihnachten 1994.

Schmiererei
Unter uns Zweibeinern gibt es schon richtige Ferkel! Kennen Sie das Finanzamt Heilbronn? Genau gegenüber wurde ein kleiner Kinderspielplatz gebaut. Die Anlage erweckt den Eindruck, als ob sie kein besonders billiges Vergnügen gewesen sei. Wenn die Pflanzen dort etwas größer sind, entsteht da ein kleiner Park. Doch Dreckfinken gibt es eben immer und überall. Denn die Mauern rund um den Spielplatz wurden mit schwachsinnigen Sprüchen vollgesprüht. Einige dümmliche Schmierereien zieren das ganze Machwerk. Der Steuerzahler ist der Dumme. Denn erstens hat er den sicherlich sinnvollen Bau des Platzes bezahlt und zweitens muß er nun wieder für die Beseitigung der Schäden geradestehen. Deswegen, wer solche Schwachköpfe (Sprayer) bei ihrer Arbeit sieht, sollte sich ruhig vertrauensvoll an die Polizei wenden.

JagsthausenDie Burgfestspiele in Jagsthausen haben nach dem plötzlichen Tod ihres Chefs Götz Freiherr von Berlichingen jetzt die Nachfolge geregelt. Erstmals in der Geschichte der Freilichtspiele wird eine Chefin die Geschicke leiten: Alexandra Freifrau von Berlichingen. Denn das Haus Berlichingen und die Burgfestspiele sind eins, ließ die Witwe von Götz von Berlichingen verlauten. Ihr zur Seite steht als Nachfolger von Roman Herzog, dem Bundespräsidenten, beim Vorsitz des 300 Mitglieder starken Freundeskreises der Burgfestspiele, der Künzelsauer Schraubenmilliardär Reinhold Würth. Ein weit über die Landesgrenzen hinaus bekannter Mäzen der schönen Künste. Und da alles neu ist, gibt‘s für das Spieljahr 1995 im Burghof auch einen frischen künstlerischen Leiter, den schon bekannten Arnold Petersen. Und auch der Götz-Darsteller 1995 steht schon fest: Dietz-Werner Steck vom Stuttgarter Staatstheater, dem breiten Publikum mehr als Tatortkommissar Bienzle aus dem Fernsehen bekannt, wird im 46. Spieljahr den kernigen Ritter mit der eisernen Hand mimen. Premiere: 22. Juni 1995. "Er aber sag's ihm ..."

Stadt-Kultur
Erstmals seit dreißig Jahren wird der deutsche Einzelhandel in diesem Jahr den Vorjahresumsatz nicht erreichen. Der Einzelhandel wird in den alten Bundesländern mit 616 Milliarden Mark den Vorjahreswert um 8 Milliarden Mark oder 1,3 Prozent unterschreiten. Sagte im Dezember 1994 die BAG (Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels). Der Verbraucher gibt mehr Geld für Wohnung und Urlaub aus. Und da er weniger hat, muß er an anderen Stellen sparen. Aber neben der schlechten Konjunktur macht dem Einzelhandel zunehmend die Bedrohung des Wirtschaftsstandortes „Innenstadt“ zu schaffen. Die geplanten Beschränkungen des Autoverkehrs auch in der Stadt, die steigende Kriminalität, die Verschmutzung der Innenstädte und die verschärften Bauauflagen machen die Stadtzentren zunehmend unattraktiv. Nutznießer sind die Anbieter auf der grünen Wiese. Und somit geht mit der Verdrängung des Einzelhandels auch die Urbanität und ein Stück städtischer Kultur verloren. Auch Heilbronn ist dafür ein Beispiel.

Volle Kassen?Volle Stadt heißt nicht unbedingt volle Kassen. Der vierte verkaufsoffene Samstag vor Weihnachten ist vorbei. Kein Parkplatz war mehr zu ergattern in Heilbronn. doch eine volle City bedeutet für den Einzelhandel nicht unbedingt auch sehr gute Einnahmen. Bei meinem Streifzug durch Heilbronn hörte ich immer wieder: „Es hat zäh angefangen und ist nicht mehr auf den Vorjahresstand aufzuholen.“ - Der Kunde rechnet scharf und kauft verbrauchsorientiert. Schnickschnack und Luxus sind gestrichen, die Geschenke werden kleiner. Am härtesten wurde die Textilbranche getroffen. Das milde Winterwetter kostet die Modegeschäfte viel Geld.

AufschwungDer Aufschwung in unserer Wirtschaft ist da. Aber er ist nur eine zarte Pflanze. Das hört man aus allen Arbeitgeberverbänden sowie aus Handel und Industrie - ob die Firmen bei uns nun Audi, Mercedes Benz oder Kolbenschmidt heißen. Die Produktivität muß gesteigert werden, um am Weltmarkt noch konkurrenzfähig zu sein. Und das heißt konkret: trotz positiver Vorzeichen geht der Stellenabbau weiter. Denn es muß mit weniger oder der gleichen Anzahl Menschen mehr und besser produziert werden. Also keine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt. In diesen Dezembertagen geben in der Region Franken die Industrie- und Handelskammer bei ihrer Jahrespressekonferenz und der Arbeitgeberverband bei seinem traditionellen Weihnachtsempfang im Heilbronner Stadttheaterfoyer Worte und Prognosen zum Besten, die genau in dieser Tendenz liegen. Der Südwesten Deutschlands war einmal das Musterländle in der achtziger Jahren. Jetzt ist der einstige Musterschüler nur noch im Mittelmaß vorzufinden.

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